Das Kulturzentrum “Die Räucherei” ist schon seit den 80ern ein Kieler Live Spielort. An den Wochenenden finden hier überwiegend Konzerte statt, doch auch Theaterstücke oder Lesungen bekommen eine Bühne. Die Konzerthalle auf dem Gelände der AWO in Gaarden wird außerdem rege für Betriebsfeiern oder Hochzeiten genutzt und stellt damit einen sehr geschätzten und viel genutzten Kulturraum auf dem Ostufer dar. Seit elf Jahren schmeißt André den Laden. Sabeth ist Tresenkraft und fast von Anfang an mit dabei. Gemeinsam berichten sie uns, wie es um die Räucherei steht. 

Sabeth und André hinter dem Spuckschutz auf der Bühne der Räucherei

Erzählt doch mal, wie war der erste Lockdown damals für euch?
André: Ich hatte es anfangs nicht ganz so ernst genommen. Am letzten Wochenende vor dem offiziellen Lockdown hätten wir noch drei Veranstaltungen gehabt, die hier jährlich stattfinden. Wie jedes Jahr hatte ich daher schon eine riesige Menge an Getränken liefern lassen – nicht als Kommissionsware. Ein paar Tage vorher sagten alle ab, weil es ihnen zu heikel war. Als es dann hieß, dass wir dicht machen müssen, dachte ich erst, dass es nach ein paar Wochen gut sein würde. Irgendwann verstand ich dann, was los ist und hatte erstmal ein ziemliches Tief. Diese Unsicherheit, wie es finanziell weitergehen sollte, war sehr belastend und beängstigend. Auch weil wir kurz vorher erst einen Teil unseres Puffers in eine größere Anschaffung investiert hatten.
Wie ging es dann weiter nach dem Lockdown?
Sabeth: Im Mai hatten wir eine Pilotveranstaltung als Doppelkonzert mit jeweils 50 Personen. Es waren durchschnittlich ca. 25 Leute da. Dann hatten wir noch ein Sommerfest.
André: Genau, der ‘Runde Tisch gegen Rassismus’ feierte sein 20. Jubiläum als Sommerfest bei uns. Das war schon ein Jahr im Voraus geplant. Eigentlich hatten wir mit 500 Leuten gerechnet. Für das Thema und für uns, hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage, ist diese Personenanzahl sehr bedeutend. Allerdings durften nur maximal 150 Leute kommen und es fand nur draußen statt. Der Tag war trotzdem sehr schön. Für meine 18-Stunden-Schicht kam unterm Strich aber leider nichts raus.
Ihr habt also gar keinen Gewinn gemacht?
Sabeth: Unter diesen Bedingungen, die derzeit herrschen, ist es einfach unfassbar schwierig, lukrativ zu wirtschaften. Wir haben mehr Aufwand, mehr Kosten, aber aufgrund der Umstände weniger Besucher*innen als zuvor. Die Veranstaltungen, die wir hatten, machten trotzdem total Spaß. Aber es ist etwas komplett anderes als sonst. Bei diesen Konzerten –  reihen- und pärchenweise sitzend und mit Maske – wird der Wunsch nach Leichtigkeit und Sorgenfreiheit, nach einer Ablenkung vom Alltag einfach nicht ganz erfüllt.
André: Leichtigkeit – das ist der perfekte Begriff, um zu beschreiben, was gerade fehlt. Es war schon rebellisch, wenn Zuschauer*innen sich trauten, vom Stuhl aufzustehen.
Und wie haltet ihr euch finanziell über Wasser?
André: Im Sommer hat die Räucherei die Soforthilfe bekommen und jetzt warten wir gerade auf die November- und Dezemberhilfe. Ich habe erst 40 Prozent davon bekommen, was im Vergleich zu anderen Betrieben, aber sogar ein Glücksfall ist. 
Sabeth: Zeitlich kam mir der Lockdown zugute, weil ich dadurch mehr Zeit für meine Masterarbeit hatte. Zunächst lebte ich einige Monate von meinen Ersparnissen und suchte mir dann einen anderen Job. Über Freunde konnte ich einen Job in einem Café finden. Seit November ging das aber auch nicht mehr. Mittlerweile habe ich einen sogenannten „systemrelevanten“ Job an einer Schule.
Stichwort „systemrelevant“: Für wie relevant haltet ihr Kultur?
André: Sie ist extrem wichtig für ein funktionierendes Sozialleben. Sollte es dazu kommen, dass wir oder andere Betriebe endgültig schließen müssen, würde es lange dauern, bis sich wieder eine neue Szene etabliert. Live-Spielstätten stellen einen wichtigen Ausgleich für die Menschen dar, um vom stressigen Alltag abschalten zu können, auf andere Gedanken zu kommen und um neue Leute zu treffen. Sollte das wegbrechen, ist meiner Meinung nach die Psyche der Menschen in Gefahr. Menschen brauchen ein kulturelles und soziales Leben.
Wie nehmt ihr die Haltung der Politik demgegenüber wahr?
André: Naja, wenn wirklich akzeptiert werden würde, dass Kultur in ihren unterschiedlichen Formen relevant ist, dann würden es viele Betriebe leichter haben und wir auch. Von heute auf morgen hieß es für uns: Das war’s. Dann gab es lange keine Ansagen, wie es weitergehen würde. Daher habe ich mittlerweile das Gefühl, dass die Kulturbranche der Politik weniger wichtig ist als andere Branchen. In anderen Ländern wird Kultur ja sogar noch weniger wertgeschätzt.
Sabeth: Ich finde den Begriff „systemrelevant“ schwierig, weil ich mich frage: Für welches System? Was ist das System? Aber das wäre eine längere Diskussion... Wenn wir mal davon ausgehen, dass es um Gesellschaft geht, also um ein soziales Miteinander, dann müssen wir erkennen, dass dies derzeit relativ wenig stattfindet. Das nimmt aber auch jede Person unterschiedlich wahr. Zentral für die Relevanz von Kultur ist das Erleben von Gemeinschaft. Es geht darum, sich selbst in unterschiedlichen Kontexten wahrzunehmen, sich mit anderen auszutauschen. Welche Form das im Endeffekt annimmt, ist nebensächlich. Klar ist: Es fehlt etwas! 
Habt ihr Wünsche auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene?
Sabeth: Ich würde mir wünschen, dass das Infektionsgeschehen auf eine andere Art und Weise gebremst werden kann. Also, dass Wege gefunden werden, bei denen die physische und soziale Distanz nicht so groß sein müsste. Zum Beispiel indem vor Veranstaltungen Tests durchgeführt werden. Wenn wir wissen, dass der Virus nicht unter den Anwesenden weilt, dann kann Kultur ausgelebt werden. Vielleicht ist das auch illusorisch, aufgrund von zu hohen Kosten oder Ähnlichem. Aber es wäre schön.
André: Ich finde es schwierig, Wünsche zu formulieren. Ich hoffe einfach, dass durch die Maßnahmen die Verbreitung weiter eingedämmt wird, sodass wir Anfang 2022 wieder relativ normal feiern können. Vielleicht wird es auch erst 2023 soweit sein...
Was sind die Perspektiven bis dahin?
André: Also ich gehe nicht davon aus, dass in diesem Jahr noch wirtschaftlich sinnvolle Veranstaltungen machbar sein werden. Ich schätze, dass es wieder eine Lockerung geben wird, sodass wir in kleiner Zahl etwas veranstalten können. Im Sommer sind Indoor-Konzerte aber nicht angesagt. Da packen die Leute eher endlich wieder ihre Surfbretter in ihre Busse und fahren weg. Im Herbst wird vermutlich wieder die Grippe-Welle für Unsicherheit in der Bevölkerung sorgen. Es wird dauern, bis Menschen sich wieder beruhigt unter viele Leute begeben wollen.
Sabeth: Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Leute inzwischen auf eine Normalität im Ausgehverhalten drängen. Dafür braucht es aber erst ein „Go“, das eine gewisse Sorgenfreiheit verspricht.
Bei einer politischen Legitimation würden die Menschen also wieder ausgehen?
André: Ich glaube, das hat vielleicht auch was mit dem Alter zu tun. Vielleicht würden Leute unter 30 bei einem „Go“ wieder ausgehen. Ich bin fast 50 und glaube, dass Leute in meinem Alter eher noch weiterhin gebremst sein werden. Obwohl ich auch zu einer Generation gehöre, die noch ohne Handy aufgewachsen ist. Dieses einfache Losgehen, um Leute zu treffen, fehlt mir sehr.
Sabeth: Der individuelle Lebensstil spielt da vielleicht auch noch eine Rolle. Ich kann mir vorstellen, dass die Gruppen, was das Alter angeht, eher gemischt sein werden. Je nachdem, wie groß die Ängste sind. Ich hoffe einfach, dass wir im nächsten Winter geringere Fallzahlen haben werden.
Angst ist ein großes Thema. Hattet ihr bei den Veranstaltungen Angst, dass sich Corona hier ausbreitet?
André: Nein, überhaupt nicht. Wir hatten gute Hygienekonzepte, an die sich die Besucher*innen gehalten haben. Ich habe mich gefreut, dass wieder was los war.
Sabeth: Angst würde ich auch nicht sagen, aber wir hatten schon ein großes Verantwortungsgefühl und haben bewusst abgewogen, was geht und was nicht.
Wieso ist es so wichtig, dass die Kulturszene wieder stattfinden darf?
André: Es geht ganz stark darum, dass den Künstler*innen wieder eine Bühne gegeben wird. Für mich als Veranstalter ist der Zuschauerraum die Bühne. Ich will die Leute empfangen, ich will mit ihnen reden und das fehlt mir einfach sehr. 

You may also like

Back to Top